
Ein Interview mit Florian Huber
Leiter Unternehmensentwicklung & Co-Leiter EYCarbon |
Deutschland, Schweiz, Österreich

Unter der Marke EYCarbon beraten Sie die Industrie in Sachen Klimafreundlichkeit. Warum hat EY die Initiative EYCarbon ins Leben gerufen?
Florian Huber: Wir haben uns gefragt, welche Themen es permanent auf die Vorstandsebene schaffen. Und da gibt es eigentlich nur wenige. Das eine Thema ist Diversity und Integrity, das inzwischen überall verankert ist. Und nach dem Davos-Meeting 2019 war klar, dass sich Klima als nächstes Thema verankern wird und dass es keinen Vorstand oder Aufsichtsrat mehr gibt, bei dem das nicht jeden Tag auf der Agenda steht. Daraufhin haben wir beschlossen, eigene multidisziplinäre Teams aufzubauen, und haben das unter der Brand EYCarbon gestartet. Das erklärt auch unseren Geburtstermin, der ist direkt nach Davos, 2019, gewesen.
„Die bisher geltende Formel lautete: Mehr Wohlstand, mehr CO₂.“
Sie sprechen in einem Artikel davon, dass die Klimatransformation die „fünfte industrielle Revolution“ werden könnte. Denken Sie, wir unterschätzen noch, welch weitreichende Änderungen auf uns zukommen?
Florian Huber: Ja, das glaube ich. Dazu gibt es ein spannendes Zitat von Bill Gates: „People won’t stop eating toast.“ Das beschreibt unsere Herausforderung ganz gut. Es ist falsch zu glauben, dass die Menschen aufhören werden, mehr Wohlstand haben zu wollen. Sie werden weiterhin Urlaub machen oder fliegen wollen. Wir müssen den Menschen bieten, was sie gewohnt sind, aber Carbon-neutral. Das erfordert natürlich einen irrsinnigen Umbau. Wir brauchen neue Technologien, wir müssen Geschäftsmodelle verändern und ganze Value Chains umbauen. Mit Optimierung ist das nicht getan. Und das haben viele noch nicht verstanden. Wir müssen auf null und das geht nicht mit Optimieren, sondern nur, indem wir es anders machen. Es ist immer spannend, wenn sich so eine Weltformel umstellt.
Können Sie das noch genauer erklären?
Florian Huber: Vor der Industriellen Revolution war die menschliche Arbeitskraft das definierende Element. Wie viel kann ein Mensch abarbeiten, wie schwer darf der Hammer sein, den er heben kann? Ab der Industriellen Revolution spielte das keine Rolle mehr, denn es gab ja jetzt Maschinen. Und vor der Digitalen Revolution war der limitierende Faktor meist die Skalierung. Digitalisierung hat Skalierung exponentiell gemacht. Und jetzt, beim CO₂, ist es wieder so. Die bisher geltende Formel lautete: Mehr Wohlstand, mehr CO₂. Wenn ich die durchbreche, habe ich wieder ein krasses Element, bei dem sich ganz viel umstellen wird. Daher spreche ich von der „fünften industriellen Revolution“, denn das wird einen ähnlichen Impakt auf uns haben wie die Digitalisierung, vielleicht aber mit einem deutlich bedeutenderen Ausgang für uns alle.
Das Schlüsselwort bei der Dekarbonisierung lautet „klimaneutral“. Viele Unternehmen schreiben sich das bereits auf die Fahne. Dabei ist klimaneutral ja nicht gleich klimaneutral. Können Sie das für uns einordnen?

Florian Huber: Zum jetzigen Zeitpunkt bedeutet klimaneutral meist nicht, dass kein CO₂ produziert wird, sondern dass Unternehmen Kompensation leisten. Es gibt generell nur ein geringes Potenzial, um CO₂, das irgendwann mal entlassen wurde, wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Im Moment sind das ungefähr zehn Prozent von der Menge, die wir emittieren. Diese zehn Prozent sind wirklich wenig. Bei aller Innovation und Transformation wird es Prozesse geben, bei denen weiter CO₂ entstehen wird ‒ das werden wir nicht vermeiden können. Allein für diese Prozesse braucht man eigentlich schon die zehn Prozent. Und das heißt: Für alle anderen bleibt nichts übrig. Da kann man EY als Beispiel nehmen, denn für uns als Beratungsunternehmen ist Kompensation keine Lösung. Die brauchen wir für die Energiewirtschaft und ähnliche Branchen. Wir müssen Druck machen, um echte klimaneutrale Flüge zu bekommen, also wirklich elektrisch oder Hydrogen. Mal sehen, was sich die Flugzeugbauer einfallen lassen.
Das zweite Problem beim Begriff klimaneutral ist ein psychologischer Effekt, der die ganze Sache etwas schwierig macht: Wenn man zu frühzeitig sagt, ein Produkt oder eine Firma sei klimaneutral, kann das den Speed rausnehmen, vor allem für uns als Konsumenten. Nehmen wir als Beispiel ein sehr umweltschädliches Produkt wie eine Aluminium-Trinkflasche, auf der „klimaneutral“ steht. Wenn die jetzt etwas beschädigt ist und Sie werfen sie direkt weg, weil Sie denken, die ist ja klimaneutral, dann ist das eher schlecht gelaufen. Denn die Flasche ist gar nicht klimaneutral, sondern nur klimaneutral gestellt. Richtiger wäre, den Verbraucher zu motivieren, diese weiter zu benutzen, bis sie ein Loch hat.
Spricht das dafür, dass man für „wirklich klimaneutral“ und „klimaneutral durch Kompensierung“ unterschiedliche Begrifflichkeiten verwenden sollte?
Florian Huber: Ich bin ein großer Fan davon. Wir brauchen mehr sprachliche Klarheit. Vor allem gegenüber dem Endverbraucher. Nehmen wir die Trinkflasche als Beispiel. Es wäre viel besser, wenn man kommuniziert: „klimaneutral durch Kompensation“.
Ist Umweltfreundlichkeit bereits ein Wettbewerbsvorteil?
Florian Huber: Wenn Sie das wirklich glaubhaft machen können, dann ja. Und das ist im Moment die größte Herausforderung. Vor allem viele der großen etablierten Player haben es nicht einfach. Wenn die sagen: „Ich habe eine grüne Linie“ oder „Ich mache jetzt auch grün“, dann ist das für den Verbraucher oft schwer zu glauben. Darum sind viele der sehr erfolgreichen Unternehmen, die so ein Versprechen überzeugend verkaufen können, eher Start-ups oder One Brands, weil sie dieses Trust-Problem nicht haben. Mein Lieblingsbeispiel ist das niederländische Unternehmen Tony’s Chocolonely, gegründet von einem Journalisten, das von sich behauptet, die erste sklavenfrei produzierte Schokolade herzustellen. In der üblichen Lieferkette von Schokolade kommt nämlich oft Kinderarbeit und moderne Sklavenarbeit vor. Die Marke ist sehr erfolgreich mit diesem sehr spitzen Versprechen, die erste so produzierte Schokolade herzustellen. Außerdem sieht ihr Produkt nicht so aus wie eine „ethische“ Schokolade. Wir alle kennen ja solche Schokoladen, die sehr speziell aussehen und auch oft so schmecken. Diese Schokolade sieht aber aus wie eine ganz normale Schokolade und schmeckt auch so.
„Der Verbraucher will nicht zurückstecken. Er nimmt es gern klimaneutral und bezahlt auch vielleicht gern mehr, aber er will dabei keine Abstriche machen.“
Und genau da ist der Clue für den Verbraucher. Niemand isst einen vegetarischen Burger, der nicht gut aussieht und nicht gut schmeckt. Das kann erst dann funktionieren, wenn er im Prinzip fast wie Fleisch schmeckt. Und so landen wir wieder bei Gates’ Ausspruch „They won’t stop eating toast“. Der Verbraucher will nicht zurückstecken. Er nimmt es gern klimaneutral und bezahlt auch vielleicht gern mehr, aber er will dabei keine Abstriche machen.
Welche Branchen haben es derzeit am einfachsten und welche eher schwerer, ihren CO₂-Ausstoß zu verringern?

Florian Huber: Am einfachsten haben es natürlich Asset-Light-Unternehmen, also Firmen, die nur wenig Geld in Technologie investiert haben, die wiederum noch sehr lange in der Abschreibung ist. Bei ihnen müsste lediglich ein Behavioral Change stattfinden. Solche Unternehmen könnten sagen: „Ab morgen fliegen wir nicht mehr, wir fahren nur noch Bahn“. Sie müssten eigentlich nur eine Arbeitsanweisung geben. Handelt es sich jedoch um ein Unternehmen nun in der Stahl-, Zement- oder Automotivebranche, das für Milliarden Euro technische Anlagen gebaut hat, die eine bestimmte Energieerzeugung brauchen, dann hat es natürlich ein größeres Problem.
Wenn es irgendwo also sehr viele Assets gibt, die viel Geld gekostet haben, dann hat man eine Challenge. Wenn diese Assets aber zudem auf einer Technologie basieren, für die noch keine Ersatztechnik entwickelt wurde, dann ist es extrem problematisch.
Wie kann man sich eine Betreuung von EY in diesem Zusammenhang vorstellen? Welche Methoden nutzen Sie?
Florian Huber: Wir nutzen ein System, das EY-weit etabliert ist. Der erste Baustein nennt sich „Future Back Analysis“. Wir versuchen damit immer ein Foresight zu generieren. Wie wird die Welt im Jahr 2030 aussehen, aus der Perspektive von Regulierung, aus der Perspektive von Investoren, aus der Perspektive der Kunden? Wo müsste man da sein? Und dann arbeiten wir uns von dort aus zurück und fragen uns: Was muss jetzt passieren, damit das Unternehmen dort ankommt? Innerhalb des Prozesses haben wir immer die gleichen Schritte: „Scan. Focus. Act.“ Das beginnt normalerweise mit einem sehr breiten Blick zu Beginn, wo wir für alles offen sind. Danach versuchen wir uns auf die Themen zu konzentrieren, in denen der größte Impact liegt, beziehungsweise packen wir da an, wo wir das größte Problem verursachen. Wir fragen uns: Wo kann der Kunde mit dem Geld, das er hat, den meisten Impact erzeugen? Wo erhält er die beste CO₂-Reduzierung für das Geld, das er hat? Schließlich verfügt nicht jeder über unendliche Mittel. „Act“ steht dann für den Teil, wo wir versuchen herausfinden: Wie machen wir das jetzt? Welche Leute in welcher Organisationsform basierend auf welchen Methoden gehen in die Umsetzung? „Future Back Analysis“ und „Scan. Focus. Act.“ sind die zwei Grundprinzipien, die hinter allem stecken.
EYCarbon hat einen Grundsatz, der lautet: „Wir beraten nur, wenn es auch um eine tatsächliche Umsetzung geht statt nur um Konzepte und Strategiepapiere.“ – Warum?
Florian Huber: Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir mit EYCarbon ein Impact-Modell erschaffen wollen und nicht zwingend ein Geschäftsmodell. Ein Geschäftsmodell bedeutet für mich immer die Maximierung des Umsatzes. Wir wollten aber, dass es bei uns um eine Maximierung der positiven Entwicklung geht, die wir verursachen. Und da kommt die Aussage her, dass wir Projekte machen wollen, bei denen wir auch sehen, dass sie tatsächlich passieren. Wir arbeiten allgemein sehr ganzheitlich. Wir würden immer prüfen: Ist es machbar, ist es finanzierbar, ist es bei den Stakeholdern umsetzbar? Das ist unsere DNA. Und hier noch mal verstärkt.