
Ein Interview mit Ev Bangemann
Mitglied der Geschäftsführung von EY Deutschland | Sponsor für Diversity & Inclusiveness
Frau Bangemann, Sie setzen sich bei EY für das Thema Diversität ein. Was war Ihre persönliche Motivation, sich mit dem Thema zu beschäftigen?
Ev Bangemann: Ich selbst war eine junge Mutter, als meine Beförderung anstand und musste beweisen, dass ich es schaffen kann, Beruf und Familie zu vereinbaren. Ich habe großen Druck gefühlt und geglaubt, immer ein bisschen besser sein zu müssen als meine männlichen Kollegen, um gut genug zu sein. Heute würde ich viel selbstbewusster mit manchen Situationen umgehen und darauf vertrauen, dass ich Herausforderungen bewältigen kann – auf meine eigene Art als Frau und Mutter. Jetzt möchte ich anderen Frauen den Weg erleichtern und zu einem organisationalen Wandel beitragen, der die Hürden von Beginn an kleiner werden lässt.
Das Thema Diversität ist heutzutage in aller Munde. Wodurch unterscheidet sich EY in diesem Punkt von anderen Unternehmen?

Ev Bangemann: Es stimmt, Diversität ist seit einiger Zeit ein sehr präsentes Thema. Erst einmal obliegt großen Unternehmen wie EY eine grundsätzliche Verantwortung, sich Themen anzunehmen, und zwar über ihren „Trendcharakter“ hinaus. Ich möchte nicht sagen, dass wir uns mehr oder besser als andere Unternehmen der Diversität annehmen, denn sicher gibt es beides, Dinge, in denen wir vorne liegen und Dinge, in denen wir noch von anderen lernen und uns verbessern können. Ein großer Pluspunkt dabei ist jedoch, dass wir von einem unglaublichen internen und externen Netzwerk profitieren können. Expertise aus allen Ländern der Welt und enge Kontakte zu allen Industriebereichen schaffen ein großartiges Potenzial, wirkungsvolle Lösungen zu schaffen.
Können Sie uns beschreiben, wie genau Diversität bei EY gelebt wird?
Ev Bangemann: Die Zahl interner Initiativen für Diversität ist enorm, von Frauennetzwerken über LGBTQAI+ Communities, Kompetenzcentern zum Thema Neurodiversität, Recruiting von Frauen mit technischen Bildungshintergründen, Sponsoring Programmen für Frauen oder globalen Kampagnen, die das Zugehörigkeitsgefühl, ganz unabhängig von einer spezifischen Diversitätsdimension, stärken sollen. Wir haben in den letzten Jahren einiges begonnen und geschafft. Meine persönliche Vision jedoch ist ein globaler Standard, der Länderspezifika einbezieht und dennoch eine Kultur fördert, in der jedes Individuum wertgeschätzt wird.
Die Wirtschaftsprüfungsbranche ist nicht unbedingt für Diversität, etwa bei den Lebensläufen ihrer Mitarbeiter:innen, bekannt. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie Absolvent:innen, sich trotzdem zu bewerben?
Ev Bangemann: Zunächst einmal finde ich es nachvollziehbar, dass bestimmte Berufe und Unternehmen Absolvent:innen mit bestimmten studiumsspezifischen Hintergründen anziehen. Kritischer bin ich, wenn es darum geht, nur ein Bewerber:innenprofil alleine zu fördern. In unserer Kommunikation nach außen versuchen wir sehr darauf zu achten, ganz deutlich zu machen, dass Absolvent:innen mit allen möglichen Hintergründen eine Karriere bei EY starten können, dass es mehr darauf ankommt, dass die Werte passen, als auf eine spezifische Universität und den dazu gehörigen Abschluss. Wichtiger als es zu kommunizieren, ist jedoch sicher, es zu tun. Attraktiv sind wir für Absolvent:innen, weil wir ein global agierendes Unternehmen sind, das alle möglichen Entwicklungspfade bereithält und das Potenzial hat, sich mit jeder und jedem einzelnen Mitarbeitenden zu verändern. Wir brauchen mehr Raum für individuelle Lebensläufe und die Geschichten, die dahinterstecken, mehr Flexibilität in den Karrierewegen und mehr Vertrauen in Diversität.
Wo liegen die größten Herausforderungen für deutsche Unternehmen, wenn es um das Thema Diversität geht?
Ev Bangemann: Ich glaube tatsächlich, dass es vor allem eine Herausforderung gibt, welche ich in einem generellen Bewusstsein zum Thema Diversität sehe. Ich gehe sehr stark davon aus, dass mittlerweile ein Großteil deutscher Unternehmen sich selbst Diversität auf die Fahnen schreibt, aber die wenigsten tatsächlich im Bewusstsein dazu agieren, was das tatsächlich bedeutet. Bevor es um Initiativen, Quoten und Kampagnen geht, bräuchte es eine Bewusstwerdung impliziter Vorbehalte und gelebter Verhaltensweisen, die oftmals immer noch ganz klar gegen Diversität sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass Fähigkeiten und Ambitionen absolut gleichverteilt sind. Ich kenne viele Frauen, die ehrgeizige Karriereziele verfolgen. Aber ebenso viele Männer, die in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen ganz essenziellen Faktor für ein erfülltes Leben sehen. Ich weiß allerdings auch, dass in dieser Hinsicht noch sehr viel zu tun ist in deutschen Unternehmen.
Wie kann Diversität zum Wettbewerbsvorteil werden?
Ev Bangemann: Wenn sie auf einem stabilen Fundament geteilter Werte, Verhaltensweisen und Visionen gebaut ist. Das Arbeiten in diversen Teams braucht einen gemeinsamen Sinn und ein gemeinsames Ziel, nur so können alle Individuen ihre Perspektiven kollaborativ mit einbringen. Dann wächst aus dem Potenzial der Unterschiedlichkeit die Möglichkeit, neuartige Lösungen für komplexe Herausforderungen zu finden.
Diversität hat viele Facetten und betrifft nicht nur Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes. Wo besteht aus Ihrer Sicht noch Optimierungsbedarf? Was hingegen läuft schon gut?

Ev Bangemann: Ich begrüße die aktuelle Debatte, die sich in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen sehr präsent zeigt. Frauenquoten, LGBTQAI+ Bewegungen, Veränderungen der Sprache, neue Vorbilder, all das zeigt, die Welt verändert sich nachhaltig. Ich finde es wunderbar, dass es Plattformen gibt, die diese Veränderung fördern! Mit Kampagnen allein ist es jedoch nicht getan, den Worten Taten folgen zu lassen, nicht dem marketinggetriebenen „pink-“ oder „green washing“ zu verfallen, genau hier sehe ich noch Handlungsbedarf. Nur wenn hinter einer Diversitätsbekundung auch ein Committment steht, kommen wir tatsächlich voran.
Gutes „Diversity-Management“ steigert den Unternehmenserfolg und im besten Fall auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. Gibt es bestimmte Diversitätsdimensionen, die in Zukunft eine besondere Rolle spielen werden?
Ev Bangemann: Diese Frage habe auch ich mir mit meinem Team aus Diversity & Inclusiveness Repräsentant:innen aus ganz Europa gestellt und wir sind zu dem Schluss gekommen: nein, es gibt nicht die „eine“ Dimension, die Zukunft bestimmend sein sollte. Eine globaler werdende Welt schafft Individuen, die selbst oftmals mehr als nur eine Diversitätsdimension in sich vereinen. Wir wollen weg von dem singulären Fokus auf eine marginalisierte Gruppe hin zu einem holistischen Diversitätsansatz. Die Frage, die wir uns stellen, lautet also nicht nur, wie schaffen wir es Frauen zu fördern, sondern wie schaffen wir es, eine Kultur zu etablieren, die Individualität per se fördert.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Diversität als „Business Case“ in verschiedenen Unternehmen gemacht? Wie lassen sich Diversitätsaspekte sinnvoll in den häufig stressigen Berufsalltag integrieren?
Ev Bangemann: Die Aussage eines „stressigen Berufsalltages“ für das Negieren von Diversität in Unternehmen, finde ich schwierig. Denn was genau sollte stressig daran sein, alle Menschen mit dem gleichen Respekt, der gleichen Wertschätzung und der gleichen Möglichmachung von Chancen zu begegnen? Die Vorteile diverser Teams sind mittlerweile durch eine Vielzahl von Studien belegt und werden in vielen Unternehmen inklusive EY gelebt. Wie wir es schaffen können, dass Diversität mehr zu Normalität wird? Indem wir sie an jedem Punkt, jeden Tag und für jedes Individuum fördern. Indem wir genau hinhören, was Mitarbeitende brauchen, indem wir Prozesse und Systeme anpassen und indem wir ein neues, bewusstes Denken anregen, das sich in konkreten Verhaltensweisen zeigt. So kultivieren wir nachhaltige Veränderung. Jede Veränderung ist einfach, wenn sie getrieben wird durch Überzeugung.
Frau Bangemann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Der Wettbewerb EY Entrepreneur Of The Year kürt auch in diesem Jahr wieder die besten Unternehmer:innen in den Kategorien Familienunternehmen, Innovation, Nachhaltigkeit und Junge Unternehmen.
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