Diversität in Unternehmen Drei Fragen an…

Chancen­gleich­heit und Gleich­berechtigung her­zu­stellen ist mehr als eine gesell­schaft­liche Aufgabe. Auch die Wirt­schaft muss soziale Verantwortung über­nehmen. Doch beim Thema Diversität haben viele deutsche Unter­nehmen Nach­hol­bedarf. Dabei ist längst bewiesen, dass sich Vielfalt positiv auf den wirt­schaft­lichen Erfolg auswirkt. Wir stellen zwei Unter­nehmer:innen vor, die diese Vision vorleben und die Veränderung hinzu einer inklusiveren Arbeits­welt aktiv vorantreiben.

Dr. Anna Weber, Co-CEO von BabyOne und
Lawrence Leuschner, CEO und Co-Gründer von TIER Mobility, im Diversitäts-Check.

… Dr. Anna Weber, Co-CEO von BabyOne

Dr. Anna Weber ist seit 2019 geschäfts­führende Gesell­schafterin bei BabyOne, einem Franchising-Einzel­handels­unter­nehmen für Baby- und Klein­kind-Produkte mit über 100 Fach­märkten im deutsch­sprachigen Raum.
Weber ist dort für die Bereiche Retail, Marketing, E-Commerce und Personal verant­wortlich. Als zertifizierte, systemische Beraterin und Coach verfügt die Unter­nehmerin über lang­jährige Expertise in der Organisations­entwicklung. 2021 erhielt sie den Digital Female Leader Award für ihr persön­liches Engagement für die Digitale Trans­formation und ihre Vorbild­funktion in agilem Leadership.

1. In Deutschland ist die Gender-Balance nach wie vor sehr unaus­gewogenen. Wie kann es gelingen, mehr Viel­falt in die Arbeits­welt zu integrieren?

Die Quote ist grund­sätzlich ein Mittel, um kurz­fristig Änderungen der Gender-Balance herbei­zu­führen. Daher ist es uner­lässlich, bei Neu­besetzungen, Beförderungen, Besetzung von Projekt­teams immer Diversitäts­ziele klar zu formulieren und zu erfüllen. Vielfalt definiert sich aber nicht nur über Gender-Quote, sondern auch andere Kriterien müssen berück­sichtigt werden: Geschlecht, Alter, Race / Haut­farbe, Ethnizität / Nationalität, Religion und Welt­an­schauung, sexuelle Orientierungen, Behinderungen und Beeinträchtigungen.

Um wirklich Bewegung in das Thema zu bringen, muss aus meiner Sicht die Förderung von Viel­falt an ganz anderen Stellen und zu einem früheren Zeit­punkt ansetzen als nur Beachtung im Unter­nehmen finden. In der Schule, im Bildungs­system z. B. durch viele digitale Bildungs­angebote und natürlich auch bei der Erziehung im Eltern­haus. Nur so schaffen wir es, Chancen­gleich­heit in unserer Gesell­schaft von der Pike auf zu verankern.

 

2. Sehen die Stellenausschreibungen und der Recruiting-Prozess bei BabyOne anders aus als in anderen Unternehmen?

Wir legen viel Wert darauf, den Bewerber:innen in unseren Stellenanzeigen, über den Recruiting Prozess und natürlich der gesamten Candidate Experience unsere Kultur zu vermitteln. Wir sind einerseits ein Familienunternehmen, doch andererseits eben auch ein digitales Wachstumsunternehmen. Das ist unsere DNA und es ist uns super wichtig, dass  die Bewerber:innen zu uns passen und umgekehrt.

Wir führen mit jedem/jeder Bewerber:in neben den ersten derzeit digitalen Interviews zusätzlich einen sogenannten “Kennenlerntag” durch. Dort lernen die Bewerber:innen ca. 3-4 Kolleg:innen aus dem Team, unsere Zentrale in Münster und zum Teil auch andere Stakeholder aus dem Unternehmen kennen. Zusätzlich findet auch immer ein Gespräch mit meinem Bruder und mir statt, so dass wir uns alle ein umfassendes Bild machen können und der Bewerber:in natürlich auch von BabyOne.

 

3. Welche Diversitätsziele haben Sie sich als Unternehmerin gesetzt? Mit welchen Maßnahmen möchten Sie diese erreichen?

In der BabyOne Zentrale in Münster erfüllen wir schon jetzt sehr hohe Gender-Quoten: 50 Prozent weibliche Gesellschafterinnen, 50 Prozent weibliche Co-CEO, fast 50 Prozent in der Führungsebene sind weibliche Top-Managerinnen.

Auf alle anderen Diversitätsziele achten wir bei jeglicher Neueinstellung, Beförderung aber auch in der Aufstellung von Projektteams. Zum Beispiel achten wir bei den Teams darauf, langjährige und neue Mitarbeiter:innen gut zu mischen, insbesondere auch in Hinblick auf Erfahrungen und Sichtweisen. Wir sind davon überzeugt, dass nur verschiedene Meinungen auch viele Perspektiven kreieren; nur so ist Innovation möglich und erlaubt uns, uns zukunftsfähig aufzustellen.

Besonders Frauen im Unternehmen coache ich oft persönlich und versuche ihnen aufzuzeigen, dass es viele verschiedene Familien-, Arbeits- und Rollenmodelle gibt. Jede Mitarbeiterin kann entscheiden, was am besten zu ihr und der persönlichen Familiensituation passt. Zusätzlich gibt es bei uns natürlich jegliches flexibles Modell, was vorstellbar ist: Führung in Teilzeit, flexible Arbeitszeiten etc.

Aber auch mit Männern sprechen wir viel und zwar in die Richtung, wirklich Familienzeit zu nehmen oder auch in Teilzeit zu arbeiten und nicht nur das zweimonatige “Wickelpraktikum” in Anspruch zu nehmen. Ich bin davon überzeugt, dass es nämlich längst nicht nur an den Frauen liegt, sondern insbesondere auch an den Männern, dass mehr Frauen in Führung möglich sein können. Genau das leben mein Bruder und ich auch vor.
 

Frau Dr. Weber, wir danken Ihnen für das Gespräch.


… Lawrence Leuschner, CEO und Co-Gründer von TIER Mobility

Lawrence Leuschner ist CEO und Co-Gründer von TIER Mobility, Europas führendem Anbieter von geteilter Mikromobilität. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Berlin ist in mehr als 185 Städten und 20 Ländern aktiv und beschäftigt mehr als 1.200 Mitarbeiter:­innen. Neben E-Scootern bietet TIER Mobility auch E-Bikes und E-Mopeds in seiner App an. Bevor Lawrence Leuschner 2019 das Unternehmen 2019 gründete, war er CEO und Mitgründer von reBuy, einem Onlineshop für gebrauchte Elektronik.

1. Wie kann es gelingen, mehr Vielfalt in die Arbeitswelt zu integrieren?

In erster Linie müssen wir kulturelle Barrieren angehen. Wir wissen, dass das größte Hindernis für die Beteiligung von Frauen am Berufsleben und insbesondere in der Mobilitätsbranche auf  Voreingenommenheit gegenüber Frauen zurückzuführen ist. Wir sehen, wie sich unsere kulturellen Überzeugungen schon in jungen Jahren auf die Entscheidung der Mädchen für einen bestimmten Berufsweg auswirken. Schauen Sie sich zum Beispiel die Berufsausbildungen und Universitätsabschlüsse an, für die sich Studierende entscheiden. In den MINT-Fächern ist die Geschlechterverteilung ziemlich eindeutig. Unsere Voreingenommenheit wird durch unsere kulturellen Überzeugungen geprägt, und das spiegelt sich in den Ungleichheiten wider, die wir bei der Vertretung der Geschlechter in Unternehmen sehen.

Wenn wir unsere Vielfalt und die Vertretung von Frauen in der Belegschaft verbessern wollen, müssen wir unsere Voreingenommenheit gegenüber Frauen abbauen. Den Führungskräften in der Wirtschaft kommt hier eine wichtige Rolle zu: Sie müssen ihre eigenen Vorurteile konsequent abbauen und dafür sorgen, dass wir ihnen am Arbeitsplatz entgegentreten. Dazu gehört auch, dass wir unsere Geschäftsprozesse und -systeme kritisch unter die Lupe nehmen und innerhalb des People-Teams einen strategischen Ansatz verfolgen, um die Vielfalt und die Vertretung der Geschlechter auf allen Ebenen unserer Unternehmen zu fördern.

 

2. Diversität und Chancengleichheit beginnen beim Bewerbungsprozess. Was müssen Unternehmen tun, um sich für vielfältige Mitarbeiter:innen attraktiv zu machen?

Bei TIER sind wir uns der enormen Chance bewusst, die wir haben, um diverse Talente zu gewinnen, indem wir flexiblere Regelungen und Remote-Optionen anbieten. Die Tatsache, dass die Mitarbeiter mehr Kontrolle über ihre Zeit haben und autonomer arbeiten können, ist definitiv ein guter Ausgangspunkt, um mehr unterschiedliche Talente anzuziehen. Die Einstellung von Mitarbeitern ist jedoch ein wichtiger Bereich, in dem Voreingenommenheit zum Tragen kommt. Daher ist es wichtig, die Recruiting-Teams zu schulen und ihnen Leitlinien und Instrumente an die Hand zu geben, die ihnen helfen, ihre Voreingenommenheit im Bewerbungsverfahren abzubauen. Die Unternehmen sollten ihre Netzwerke und Stellenbörsen ausbauen, die sie für ihre Stellenausschreibungen nutzen. Partnerschaften mit verschiedenen Bildungs- und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für unterrepräsentierte Gruppen einsetzen, sind ein guter Weg, um den Pool von Bewerbern zu diversifizieren.

Ich bin auch der Meinung, dass sich jedes Unternehmen Ziele für die Einstellung von Mitarbeitern mit unterschiedlicher Herkunft setzen sollte. Um die Talente, die Sie anziehen, zu halten, sollten Unternehmen die komplexe Intersektionalität der Identitäten ihrer Mitarbeiter berücksichtigen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir über integrative Arbeitsplätze sprechen. DEI-Audits in Unternehmen können hier hilfreich sein, um die richtigen Strategien zu entwickeln, die Barrieren für Inklusion abbauen und ein gleichberechtigtes Umfeld fördern, das für alle Mitarbeiter mit unterschiedlichem Hintergrund funktioniert.

 

3. Welche messbaren Diversitätsziele hat sich TIER Mobility gesetzt?

Dieses Jahr haben wir unseren allerersten DEI-Bericht intern veröffentlicht. Er lieferte uns eine klare Momentaufnahme, wo wir in Bezug auf die Diversität im Unternehmen stehen und welche Trends es gibt. Er deckte aber auch Defizite auf. Zwar ist z.B. der Frauenanteil im gesamten Unternehmen im Jahr 2021 von 29 % auf 39 % gestiegen, allerdings ist der Anteil von Frauen in unserer Führungsetage, nach wie vor mehrheitlich männlich. Unser Ziel ist es, bis Ende 2023 einen Frauenanteil von 40 % zu erreichen.

Eine weitere Priorität ist die Verbesserung unserer DEI-Daten. Wir wollen die Vielfalt und Komplexität unserer Belegschaft besser verstehen und eine DEI-Strategie entwickeln, die auf Daten basiert. Auf diese Weise können wir unsere Fortschritte messen und verfolgen. Wir werden in der Lage sein, dort Maßnahmen zu ergreifen, wo sie am nötigsten sind, und systematisch an der Förderung einer integrativen Kultur zu arbeiten, die sicherstellt, dass alle unsere Mitarbeiter unabhängig von ihrem Hintergrund bei TIER erfolgreich sein können. In den kommenden Monaten werden wir auch eine DEI-Strategie in unsere allgemeine Organisationsstrategie integrieren. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass DEI in den Werten, Richtlinien und Praktiken unseres Unternehmens verankert ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass DEI eine Quelle unserer Innovation und ein Mittel zur Erreichung von Nachhaltigkeit ist. Daher ist sie für unser Geschäftsmodell unerlässlich.
 

Herr Leuschner, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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